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Tina Schulz

03 07 – 28 08 2016

Tina Schulz (*1975, D) untersucht gesellschaftliche Handlungsräume, indem sie die Aufmerksamkeit auf das Spannungsfeld zwischen Bild und Sprache richtet. Einer Archäologie des Gedächtnisses verpflichtet, hinterfragt sie kulturelle Codes, mediale Bildwelten und Architektur und damit Aspekte gegenwärtiger Lebenskontexte. Die Zeichnungsserie Soft Facts, die seit 2013 fortgeführt wird, bildet den reflexiven Ausgangspunkt der Ausstellung. Sie basiert auf Bildern aus dem Internet und suggeriert eine Überlagerung von verinnerlichten Vorstellungen sowie medialen Repräsentationen der Welt. Die Umsetzung der Motive erfolgt mit Graphitstaub, Wasser und Graphitkreide – eine Technik, die sich die Speicherfähigkeit des Papiers zu Nutze macht. In der Farbigkeit zwischen Stein und Haut gehalten, bezieht sich eine Gruppe von Gemälden auf Architekturfragmente und verdrängte Körperlichkeit. Eine Videoinstallation thematisiert mit einer Textmontage die Verbindung zwischen Dekonstruktion und Erinnerung und schlägt eine Brücke zu den ortsspezifischen Werken der Ausstellung.

Vergleichbar mit einem begehbaren Bild, erinnert eine raumgreifende skulpturale Inszenierung in der Salle Poma an eine zeitlose Ruine, obschon sie sich auf die Architektur des Ausstellungsraumes bezieht. Beim Betrachten der Werke wird ersichtlich, dass Tina Schulz einer Archäologin ähnlich die Schichten der kollektiven Erinnerung abträgt, um den fragilen Moment einer individuellen Erzählung entstehen zu lassen.

Mit ihrer ersten Einzelausstellung in der Schweiz, die zugleich ihre umfangreichste bisher ist, begibt sich Tina Schulz ausgehend vom antiken griechischen Mythos auf die Suche nach der Idee einer ars memoriae (Gedächtniskunst), nach der Ortlosigkeit des digitalen Bildgedächtnisses und der Ruine als Paradigma der Gegenwart. Die Werke spannen einen Bogen, der in der Salle Poma in Form einer szenischen Anordnung von Plastiken den Höhepunkt findet.

Die Text- und Bildmontage Das Harte und das Weiche, 2016 wird im Parkett 2 auf drei installierten Flachbildschirmen gezeigt. Sie beschäftigt sich in neun kurzen Kapiteln mit der Verbindung von Architektur und Körper, von Zerstörung und Tod, Erinnerung und Überdauern. Jeder Text greift eine signifikante Erzählung, eine historische Überlieferung oder Anekdote auf und verbindet sie mit assoziativen und illustrativen Bildern. Die Texte sind knapp und präzise gehalten und eröffnen ein Feld an Vorstellungen, die in den Zeichnungen und Gemälden reflektiert werden. Das ortsspezifische Werk Memory Theater, 2016 ist als begehbare Bühne mit imaginären Türen konzipiert. In der raumfüllenden Zeichnung auf den eingezogenen Wandflächen wird der Bezug auf das Gedächtnistheater von Robert Fludd aus dem frühen 17. Jahrhundert ersichtlich.

Rund siebzig Zeichnungen der Werkgruppe Soft Facts, 2013-2016 werden in einem Raum im Parkett 2 präsentiert. Auf drei Reihen angeordnet, lassen sie eine Verdichtung entstehen, die einem Bilderfluss gleicht. Die vielgestaltigen Bilder lassen Überschichtungen zwischen abstrakten Strukturen und fragmentierten Körpern, Alltagsgegenständen oder technischen Geräten erkennen. Scheinbar willkürlich bedient sich Tina Schulz der Bilder digitaler Plattformen, dekonstruiert und fügt sie neu zusammen. Dennoch sind die Vorlagen gezielt gewählt: Die Künstlerin verwendet Ikonen der Kunstgeschichte und der Popkultur, und damit Bilder, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind. Zwischen Vorlagen und Zeichnungen besteht jedoch lediglich eine Ähnlichkeitsbeziehung; sie sind Reproduktionen von erinnerten Bildern, hinter denen das Original schon lange verschwunden ist. Der Verbund der Zeichnungen erzielt eine Ruhelosigkeit, die an die immerzu zirkulierenden Bilderwelten auf unseren digitalen Endgeräten erinnert. Trotz ihrer Diversität verbinden die Werke formale Aspekte, wie die Zentrierung der dargestellten Sujets, ihr Hochformat und die künstlerische Technik des Auftragens und Abtragens von Graphit.

Die Gemälde von Tina Schulz spielen mit der Idee des Lebendigen im Anorganischen und der Mortifikation im Organischen. Die Bilder zeigen architektonische Fragmente wie Öffnungen eines Abwasserkanals, Körperteile, welche wie Objekte dargestellt sind oder texturreiche Oberflächen. Vier Bilder im Parkett 2 beziehen sich auf den Aussenraum und sind so gehängt, dass die jeweils gezeigten Situationen ihre Zuordnung in der realen Architektur finden könnten. Eine Serie von kleinen Gemälden ist in ein auf der Wand angebrachtes Raster gehängt, das die Proportionen aus dem vorangehenden Raum aufnimmt.

In der Salle Poma werden Readymades und bühnenhafte Architekturfragmente zu einem szenischen Ensemble zusammengebracht. Die Bezugsgrösse der Plastiken orientiert sich an der bestehenden Ausstellungsarchitektur, am deutlichsten beim Werk Ohne Titel (Tor), 2016 sichtbar, dessen Aussenmasse die Eingangstür des Saales aufnehmen, wobei der innere Durchgang dem Türenmass der Parketträume entspricht. Die Oberflächenbeschaffenheit der Kulissenbauten imitiert dabei Rost, Sand, Staub und Oxidation. Die wie im Boden versunkenen offenen Kuben aus Metall beruhen auf den Normmassen der Durchgangstüren. Das Element der Architektur ist jedoch nur noch als verzerrtes, beschädigtes oder verschüttetes Moment erkennbar.

Kurator der Ausstellung; Damian Jurt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Kunsthaus Pasquart

Tina Schulz, Ausstellungsansichten / vues d’exposition / exhibition views Kunsthaus Centre d’art Pasquart 2016
Fotos / Photos: D. Müller, P.Christe.