Lade Veranstaltungen
Diese Veranstaltung hat bereits stattgefunden.

ANDREA HELLER

7.7.–8.9.2019

Andrea Heller (*1975, CH) schafft Werke auf Papier sowie Keramik-, Gips- und Glasobjekte, in denen sich eine Welt aus fragilen Landschaften, assoziativen Spuren und anthropomorphen Mischwesen entfaltet. In ihren Papierarbeiten bauen sich weiche Farbläufe in Aquarell und Tusche zu kristallinen Objekten und Gebilden auf, die zwischen den Dimensionen oszillieren – diffus und hart, anziehend und unheimlich. Gleichzeitig untersucht die Künstlerin Systeme, Reihenfolgen und Ordnungen. Besonders deutlich wird dies in ihren grossformatigen Blättern sowie in einer neuen Serie von Malereien auf Textil. Eigens für diese Ausstellung konzipierte die Bieler Künstlerin das Werk L’Endroit de l’envers (2019), eine aus Holz konstruierte und bemalte Struktur, die fast bis zur Decke der beinahe 6m hohen Salle Poma reicht. Die Bedingungen unserer Umwelt reflektierend, rückt Andrea Heller Aspekte wie Dekonstruktion, Instabilität und Unbeständigkeit ins Zentrum und realisiert eine raumfüllende Installation, die mehrdeutig erfahrbar ist.

Die Ausstellung im Kunsthaus Pasquart versammelt wichtige Schlüsselwerke Andrea Hellers, die ihr künstlerisches Schaffen facettenreich vor Augen führen. Wenn auch Malerei und Zeichnung im Zentrum ihrer Praxis stehen, versteht die Künstlerin ihr Werk als medien- und materialübergreifend. Skulpturen und Installationen nehmen inzwischen einen immer wichtigeren Platz in ihrem Schaffen ein. Dennoch zieht sich das Zeichnen wie eine Linie durch ihr Werk und kann als Ausgangspunkt verstanden werden. So besitzen auch ihre Keramik- und Glasobjekte eine zeichnerische Qualität. Die Inspiration, ihre Ideen und Ausdrucksmittel gewinnt sie aus den Gegebenheiten und Umständen, denen wir in unserer Welt ausgesetzt sind. Neben der Abstraktion und Dekomposition von Volumen im Verhältnis zum Raum untersucht sie soziale Strukturen und Architekturen, deren Beziehung zum menschlichen Körper und ihre Bedeutung für Mensch und Landschaft.

Andrea Heller entwickelt ihre Arbeiten ausgehend von gefundenem Bildmaterial, das sie in Büchern, Zeitungen oder im Internet findet. Daran interessiert sie der formale Aufbau der Bilder; wie sich aus der Vogelperspektive eine Siedlung auf dem Wüstenboden einschreibt, als wäre es eine Zeichnung, oder wie eine Mauer eine Linie durch die Landschaft zieht und diese spaltet. Sie sucht nach einem Prinzip oder Regelhaftigkeit, die solche Konstruktionen definieren, nach Formen und Flächen, welche diese Phänomene des Alltags hervorbringen. Dabei entstehen teils kleinere, fragil wirkende Zeichnungen und dann übergrosse, beinahe plastische Blätter, welche diese Strukturen zu einer Mischung aus schwebenden Objekten, Hybriden und organischem Wildwuchs machen. Die Künstlerin gibt sich selbst ein einfaches formales Prinzip vor (Dreieck, Vieleck, Tropfen, Streifen) und baut diese Grundformen in ihren Bildern stetig wiederholend zu einem massigen Ungetüm auf. Sie taucht den Pinsel jeweils einmal pro Fläche in die Tusche, so dass jede einzelne Form aus einer Abstufung oder Überlagerung von Farbe entsteht. Aus diesen Farbverläufen entstehen Gebilde, die Motive nur andeuten und immateriell bleiben. Die Künstlerin sucht nicht nach Bildern, sondern findet diese zufällig.

Ein wichtiger Aspekt für die Künstlerin ist die Wahrnehmung eines Ortes als fragiler Platz, an dem keine peripheren Gedankenblasen ausgeschlossen werden. Immer wieder reflektiert sie, wie äussere Bedingungen den Umgebungsraum beeinflussen und wie unterschiedlich er wahrgenommen werden kann: als Schutz, als Bedrohung, als Einschränkung. Mit Farbschichten baut sie Werke, dekonstruiert und abstrahiert Themen und Kontexte so, dass sie mehrdeutig les- und erfahrbar sind. Die Werke von Andrea Heller stiften deshalb keine einfache Sinneinheit, sondern beinhalten die permanente Mischung von Verstehen und Nicht-Verstehen, sie schliessen den reflexiven Blick der distanzierten Betrachtenden mit ein und relativieren geltende Standpunkte, welche die Künstlerin als stets im Fluss und veränderbar versteht.

Die Präsentation endet in der Salle Poma mit einer neuen, ortsspezifischen Arbeit. L’Endroit de l’envers ist ein ebenso radikales wie feines Werk: eine aus Holz konstruierte, überwältigende Installation, getüncht in tiefes Schwarz. Die Paneele sind mehrlagig mit Tusche bemalt, was eine sogartige Tiefenwirkung entstehen lässt. Die seitliche Ansicht beim Eintreten hinterlässt einen brutalen, verschlossenen Eindruck. Erst beim Herumgehen erschliesst sich ihre Form – eine Art überdimensioniertes Kartenhaus, das sich in die Höhe türmt. Je nachdem, wo man sich im Raum befindet, wirkt die Struktur beinahe wie eine Art Behausung, um dann die BesucherInnen wieder mit prekärer Instabilität zu konfrontieren. Die zentrale Auseinandersetzung Hellers mit Abstraktion und Dekomposition, mit Leere und Abwesenheit, Brutalität und gleichzeitiger Feinheit von Raum und Körper wird ersichtlich.

L’Endroit de l’envers steht als Verbindungsstück zum Kontext der Ausstellung sowie zu elementaren Themen von Andrea Hellers Schaffen wie Brutalität und Fragilität. Daneben schlägt die Installation den Bogen auch zu frühen Arbeiten wie Meteoriten (2004-07), Panzersperren (2006) oder Überbau (2005). Das erdrückende Gewicht der Meteoriten wiegt die Künstlerin mit kleineren Objekten wieder auf. In ihren Aquarellen begegnen wir immer wieder kühnen Einfällen, die aus der Fähigkeit der Künstlerin erwachsen, die Welt wörtlich zu nehmen.

Kuratorin der Ausstellung

Felicity Lunn, Direktorin Kunsthaus Pasquart

Publikation zur Ausstellung

Zur Ausstellung erscheint eine reich bebilderte Publikation mit Texten von Olivier Kaeser, Aoife Rosenmeyer und Felicity Lunn im Verlag für moderne Kunst (DT / FR / ENG).

Öffentliche Führungen

Do 11.7.2019, 18:00   (fr)             Valentine Yerly, Kunstvermittlerin

Do 5.9.2019, 18:00    (dt)            Felicity Lunn, Direktorin Kunsthaus Pasquart

Künstleringespräch

Do 22.8.2019, 18:00   (dt)            Andrea Heller im Gespräch mit Felicity Lunn

Andrea Heller Ausstellungsansichten Kunsthaus Pasquart 2019. Fotos: Stefan Rohner; courtesy the artist

Mit freundlicher Unterstützung des Legats von Mme M. Mottier-Lovis